Maulkorb 2012

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin Diezel,

Sehr geehrter Frau Ministerpräsidentin Lieberknecht,

Sehr geehrte Damen und Herren,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Laudatio für den Maulkorb ist für den Preisträger in der Regel eine unerfreuliche Angelegenheit. Aus diesem Grund haben die Laudatoren in den vergangenen Jahren überwiegend versucht, das Ganze mit einer ordentlichen Portion Humor zu versüßen, damit es für den unglückseeligen Kandidaten nicht ganz so schlimm wird.

Doch im Falle dieser Laudatio ist das Thema viel zu ernst – todernst. Zehn Menschen sind gestorben – mutmaßlich von drei Thüringern ermordet. Drei Thüringer, die als Neo-Nazis am 26. Januar 1998 unter den Augen von Polizisten und Verfassungsschützern in Jena untertauchten und 13 Jahre lang verschwunden blieben. Aufgewachsen in einem rechtsextremistischen Umfeld, dass man in weiten Teilen der politischen Klasse in Thüringen über Jahre hinweg nicht wahr haben wollte!

Als in den Tagen nach dem 4. November 2011 -das so genannte Terror-Trio hatte sein Ende gefunden - der mediale Sturm über Thüringen hereinbrach, da war klar, dass die kleinen provinziellen Pressestellen der kleinen nachgeordneten Sicherheitsbehörden dem Sturm nicht standhalten würden. Es war so! Aus heutiger Sicht, mit etwas Abstand betrachtet, eine völlig nachvollziehbare Angelegenheit. Eine Überforderung, die menschlich und damit auch verständlich ist.

Es wurden viele Fehler in der Kommunikation gemacht – aber auch wir Journalisten waren in den ersten Wochen nicht frei von Fehlern. So manche Top-Story stellte sich als halb oder gänzlich unwahr heraus. Doch während sich die Redaktionen langsam sortierten und eine gewisse Systematik bei der Berichterstattung zu spüren war, fehlte diese Systematik in der Presse- und Kommunikationsarbeit des Thüringer Innenministeriums und seiner beiden nachgeordneten Behörden, dem Landesamt für Verfassungsschutz und dem Landeskriminalamt weitestgehend. Dem Bundesrichter a.D. Gerhard Schäfer sei dank – hinter seiner Kommission konnten sich die Pressestellen über Monate wunderbar verschanzen. Egal, was - zu Recht - gefragt wurde, die Antwort war: da können wir nichts sagen, dass ist Sache der Schäfer-Kommission. Es war bitter und nicht lustig!

Es wäre eine statistische Fleißarbeit, die unzähligen Anfragen hier aufzulisten, die an diese Behörden gerichtet wurden und teilweise tage-, ja wochenlang unbeantwortet blieben – oder, dass sie gar nicht beantwortet wurden. Panische oder trotzige Reaktionen auf Anfragen nach Hintergrundgesprächen an so manchen Behördenleiter waren die Regel. Einer erklärte fast schon hilflos: Er habe seit dem 4.11. bis Weihnachten kein Wochenende frei gehabt - wir auch nicht!

Allein der entlassene Verfassungsschutzchef Thomas Sippel wagte sich in die Höhle des Löwen und kam zu einem Hintergrundgespräch in die Landespressekonferenz, wo er mit großer Offenheit und auch Selbstkritik sprach – dafür unseren Respekt von dieser Stelle. Von anderen Fachleuten aus Landeskriminalamt, Thüringer Verfassungsschutz oder Innenministerium – keine Spur!

Informationsgewinnung in den vergangenen acht Monaten war für die Thüringer Kollegen und auch für die, die bundesweit agierten, ein mühsames und unglaublich nerviges Geschäft. Verängstigte Behördenchefs, Abteilungsleiter oder hohe Polizeibeamte prägten die Szenerie. Sitzungen des Innen- und des Justizausschusses wurden auf Antrag der Landesregierung permanent als streng vertraulich eingeschlossen – die Abgeordneten von CDU und SPD folgten diesem Antrag in schöner Regelmäßigkeit. Transparenz gegenüber den Medien und der Öffentlichkeit sieht anders aus.

Die Landespressekonferenz hat über all das diskutiert und ist zu dem Schluss gekommen, dass nicht ein einzelner Pressesprecher diesen Maulkorb 2012 erhalten soll. Er wird in diesem Jahr dem operativen Chef eines Ministeriums verliehen – und zwar stellvertretend, für all die Spitzen-Beamten in Innenministerium, Landeskriminalamt und Verfassungsschutz, die über Monate eine klare und transparente Öffentlichkeitsarbeit systematisch verhindert haben - hinter den Kulissen und der gebetsmühlenartig verkündeten Transparenz.

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Dr. Rieder – betrachten Sie bitte diesen Preis als ein Ausrufezeichen! Wir Thüringer Journalistinnen und Journalisten erwarten eine klare Änderung im Umgang mit uns. Wir erhoffen uns von Ihnen als dem Chef der inneren Führung des Innenministeriums, dass Sie diese Erwartung in ihr Haus und in ihre nachgeordneten Sicherheitsbehörden tragen.

Die von Frau Ministerpräsidentin Lieberknecht und Innenminister Geibert zugesagte Transparenz kann ohne uns nicht umgesetzt werden – denn ohne uns wird keiner da draußen etwas von dieser Transparenz mitbekommen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Axel Hemmerling

Comments are closed.


Categories

Gestaltet von Falk Heunemann