Maulkorb 1998

Laudatio

Meine Damen und Herren, verehrte Preisempfänger, lieber dazu lieber Ferngebliebener!

Es erscheint auf den ersten Blick vielleicht ungewöhnlich, wenn hier ein Sachse die Laudatio für einen thüringischen Regierungsbeamten hält. Aber genau besehen, ist das natürlich absolut folgerichtig. Denn wenn ich richtig informiert bin, stammen fast alle höheren thüringischen Regierungsbeamten auch nicht aus Thüringen. Was den Schluss zulässt, dass es für höhere Beamtenstellen in Thüringen keine geeigneten Thüringer gibt. Wenn es aber nun aber keine kompetenten Thüringer gibt, die geeignet wären, Thüringen zu regieren, dann ist natürlich auch kein Thüringer in der Lage, die Tätigkeit eines nichtthüringischen thüringischen Regierungsbeamten zu würdigen. Nahe liegend also, dass man auch für diese Aufgabe auf einen Ausländer zurückgreift. Wobei ich der Landespressekonferenz gern bestätigen will, dass ich das auch für einen Beweis der Ausländerfreundlichkeit der thüringischen Presse halte.
Verehrte Gäste,
es gibt aber noch einen weiteren Grund, weshalb man mich gebeten hat, den diesjährigen Träger des Goldenen Maulkorbes ins abstinencio zu würdigen. Wie der Mehrzahl von Ihnen vielleicht nicht ganz unbekannt ist, war ich fünfundzwanzig Jahre lang Mitglied, Autor und Regisseur des Kabaretts LEIPZIGER PFEFFERMÜHLE. Fünfundzwanzig Jahre in der DDR. Was die Landespressekonferenz zu der Überzeugung kommen ließ, dass ich mich mit Maulkörben auskenne.
In der Tat, meine Damen und Herren, verehrter Herr Regierungssprecher, ein Kabarettist in der DDR hat des öfteren einmal einen Maulkorb bekommen. Allerdings im Unterschied zu Ihnen nie einen goldenen. Und gerade den hätten wir, wieder im Unterschied zu Ihnen, durchaus gern angenommen. Denn wir waren damals froh gewesen, endlich einmal an das in der DDR so rare Zahngold zu kommen.
Aber auch wenn ihnen einen solcher Beweggrund völlig fremd ist - lassen Sie mich Ihnen von Maulkorbträger zu Maulkorbträger ein paar Worte des Zuspruchs sagen.
Man kann ja durchaus verstehen, dass Sie mit einem von der Landespressekonferenz vergebenen Maulkorb nicht sonderlich glücklich sind. Denn als Beamter müssen Sie auf den Dienstweg achten. Und der besagt ja, dass Maulkörbe für Sie nur von oben kommen dürfen. Also aus der Vogelperspektive.
Wenn der Maulkorb statt dessen von unten kommt, müssen Sie als Beamter natürlich prüfen, ob er nicht ein Geschenk ist. Im Sinne des Beamtengesetzes. Und Geschenke dürfen Sie ja nicht annehmen. Wie Sie als Regierungssprecher ja überhaupt nichts annehmen dürfen. Höchstens das Schlimmste. Von der Presse.
Und hier liegt ja dann wirklich der echte Konflikt, in dem sich ein Regierungssprecher immer befindet. Als Beamter darf er nichts annehmen. Als Regierungssprecher muss er es. Nämlich annehmen, dass die Presse das Schlimmste will. Als Beamter darf er nichts für sich behalten. Aber als Regierungssprecher muss er es. Also die Annahme, dass … Ich gestehe, ich möchte kein Regierungssprecher sein.
Von Ihnen, Herr Kaiser, behauptet man, man könne Sie Tag und Nacht anrufen. Aber nie erreichen. Was ja auch die „Süddeutsche Zeitung” erfahren hat, als sie versuchte, sie zum dem schönen Bild begeisterter Demonstranten beim Clinton-Besuch in Thüringen zu befragen - Sie wissen schon. Wo Sie von nichts wissen. Wie dieser Störer mit dem Pappschild aus dem Bild verschwunden ist. Und das Wissen um die Retusche aus Ihrem Gedächtnis.

Man charakterisiert Sie gern als sehr gewissenhaft, penibel, fleißig und hintergründig. Hintergründig, weil Sie die Hintergründe vieler Entscheidungen der Landesregierung gern im Hintergrund belassen. Penibel, weil Sie streng darauf achten, dass die einzige Aufgabe Ihres Stellvertreters, des Herrn Dr. Rausch, darin besteht, zu sagen: „Dazu kann ich nix sagen.” Fleißig, weil Sie unermüdlich strebend sich bemühen, alle und alles im Griff zu haben, eine Art öffentlich-rechtlicher Leo Kirch der Krämerbrücke. Und als gewissenhaft gelten Sie, weil Sie gern gewissenhaft auch in allerletzter Sekunde die Kollegen von Fernsehen, Rundfunk und Print an alles das erinnern, was Sie vergessen hatten, Ihnen zu übermitteln.

Sie haben es aber auch oft schwer, verehrter Herr Kaiser. Zugegeben. Zum Beispiel wirft man ihnen vor, Ihre Devise sei „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold”. Und niemand will verstehen, dass Sie als Mitglied einer christlichen Partei ja geradezu verpflichtet sind, sich an diesen Bibelspruch - Psalm 12, Vers 7 zu halten. Aber dann müssen Sie sich natürlich, mit Verlaub, auch daran erinnern lassen, dass der Bibeltext präzise lautet „Die Worte des Herrn sind lauter wie Silber.” Punkt. Und der Zusatz „Schweigen ist Gold” gar nicht in der Schrift steht Sondern nur in Ihrem Parteiprogramm.

Aber wenn Sie, wiederum mit Verlaub, es sich zur Regel gemacht haben, das Maul nicht aufzutun, warum wollen Sie das dann nicht wenigstens zeigen? Indem Sie den Ihnen heute verliehenen Maulkorb annehmen Und bei allen Pressekonferenzen der Landesregierung tragen. Das würde doch die Verständigung zwischen Ihnen und der Presse sehr erleichtern. Niemand würde Ihnen mehr eine Fragen stellen. Die Sie ja sowieso auch ohne Maulkorb nicht beantworten.

Betrachten Sie doch den Maulkorb als eine Art Berufsbekleidung. Als die ideale für einen Regierungssprecher. Man weiß, wenn Sie ihn tragen, sofort, woran man ist - an einem der nämlich, der gebunden ist. Oder angebunden. An das Kabinett. Nicht zufällig war ja auf dem Etikett vieler alter Schelllackplatten auch ein Maulkorbträger zu sehen. Mit dem Slogan: Die Stimme seines Herrn. Und vor allem, bedenken Sie mal: wer einen Maulkorb trägt, kann nichts sagen. Und wer nichts sagen kann, kann auch nichts Falsches sagen. Und muss es hinterher nicht dementieren.

Nun könnte jemand einwenden, das wäre noch keine Lösung. Denn wenn der Regierungssprecher nichts sagen darf oder will, so könnte er doch sein Wissen, seine Informationen schriftlich verbreiten. Schwarz auf weiß, auf holzfreiem Papier. Aber wer Ihr Büro kennt, verehrter Herr Kaiser, weiß, dass Sie Papier ungern herausrücken, sondern lieber stapeln. Sie geben nun mal ungern etwas heraus. Am wenigsten Erklärungen. Zu unerforschlichen Entscheidungen der Landesregierung. Nur wenn es sich partout nicht vermeiden lässt, dann höchstens einmal an die Damen und Herren Chefredakteure. Die das dann auch für sich behalten.

Eins aber verstehe ich trotzdem nicht, Herr Kaiser: dass Sie sich so vehement dagegen wehren, diesen Goldenen Maulkorb entgegenzunehmen. Dass Sie „außer sich” gewesen sind und „fast ausgeflippt” waren, als Sie die Nachricht von dieser verdienten Ehrung erhielten. Und heute hier auch nicht erschienen sind. Hier nämlich hätten Sie ja noch einmal ohne Maulkorb reden können. Und auf diese
Würdigung Ihrer Tätigkeit antworten.

Wir Maulkorbträger der alten DDR haben das immer getan. Und ich darf Ihnen raten, holen Sie das nach. Mit einem Bekenntnis, dass alles, womit Sie die Presse verärgert haben, gar nicht so gemeint war. Und dann machen Sie es einfach so wie wir damals im DDR-Kabarett. Einfach weiter wie vorher. Nach einem Maulkorb war unserer nächstes Programm genau nicht anders als das vorherige, für das wir einen Maulkorb gekriegt hatten. Aber da hatten sich inzwischen unsere Oberen längst einen neuen Kandidaten für einen Maulkorb ausgeguckt. Und uns vergessen. Nehmen Sie das ruhig auch für sich zum Vorbild. Denn Sie wissen doch: Bei der Presse sind nicht nur die Meldungen, nein auch der Ärger von heute morgen schon der Schnee von vorgestern.

Aber mit Ihrem Nichterscheinen heute und hier, verehrter Herr Kaiser, und Ihrer Weigerung, die Ihnen zugedachte Ehrung entgegenzunehmen, haben Sie sich Ihre Beißsperre ja selbst verordnet

Und so kann ich nur noch einmal die Heilige Schrift zitieren. Matthäus 22, Vers 21: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist: Den goldenen Maulkorb.

Rainer Otto, Kabarettist und Autor an der Leipziger Pfeffermühle

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